Akute lymphoblastische Leukämie, ALL bei Hunden

Inhalt

Die akute lymphoblastische Leukämie (ALL) ist eine hochmaligne, klonale Neoplasie lymphatischer Vorläuferzellen, die sich durch eine unkontrollierte Proliferation unreifer lymphatischer Blasten im Knochenmark, peripheren Blut und lymphatischen Organen auszeichnet. Bei der ALL handelt es sich um eine Form der akuten Leukämie, die sich vom chronischen Verlauf (z. B. CLL) durch ihr aggressives klinisches Bild und die rasche Krankheitsprogression unterscheidet. Sie betrifft vor allem junge bis mittelalte Hunde, wobei es keine eindeutige geschlechtliche oder rassespezifische Prädisposition gibt. Die Erkrankung ist selten, aber durch ihren fulminanten Verlauf hochrelevant.

Ursachen

  • Genetische Faktoren
  • Exposition gegenüber Strahlung oder toxischen Chemikalien
  • Bestimmte virale Infektionen

Die Ätiologie der ALL beim Hund ist nicht vollständig geklärt. Vermutet wird eine Kombination aus genetischer Prädisposition, Umweltfaktoren (z. B. ionisierende Strahlung, toxische Chemikalien) und viralen Auslösern, insbesondere Retroviren. Mutationen in Protoonkogenen oder Tumorsuppressorgenen führen zur Entdifferenzierung und klonalen Expansion lymphatischer Vorläuferzellen im Knochenmark. Die genaue Zelllinie kann entweder B- oder T-lymphatisch sein, wobei T-Zell-ALL mit einem häufig aggressiveren Verlauf assoziiert ist. Eine sekundäre Leukämie nach Chemotherapie oder Bestrahlung wurde in Einzelfällen beschrieben.

Symptome

Die klinische Symptomatik ist meist akut und unspezifisch. Typisch sind:

  • Lethargie, Inappetenz, Gewichtsverlust
  • Blässe der Schleimhäute infolge Anämie
  • Fieber, ggf. intermittierend
  • Petechien, Hämatome, Epistaxis aufgrund Thrombozytopenie
  • Infektionen durch Neutropenie (z. B. Hautinfektionen, Pneumonie, Gingivitis)
  • Lymphadenopathie (vergrößerte Lymphknoten), Hepato- und Splenomegalie
  • Atemnot oder Lahmheit, wenn Organe wie Lunge oder Knochen infiltriert sind
    Die Symptome entstehen durch Verdrängung gesunder Knochenmarkzellen, Infiltration von Organen und immunsuppressive Effekte der Tumorzellen.

Diagnose

Die Diagnostik basiert auf Blutbild, Knochenmarkaspiration und immunzytologischer Typisierung.

  • Hämatologie zeigt meist eine schwere Anämie, Thrombozytopenie und eine Leukozytose oder Leukopenie mit hoher Anzahl unreifer Blasten.
  • Blutausstrich: Blasten mit großem Zellkern, feinem Chromatin und Nukleolen.
  • Knochenmarkzytologie: Nachweis von >20–25 % lymphoblastischen Zellen bestätigt die Diagnose.
  • Immunphänotypisierung (z. B. mittels Flowzytometrie): Differenzierung zwischen B- und T-Zell-ALL durch Nachweis spezifischer Oberflächenmarker (CD3, CD79a, CD34 u. a.).
  • Thorax- und Abdomenbildgebung: zur Beurteilung von Organinfiltrationen und sekundären Komplikationen.
  • Eine Unterscheidung zur lymphoblastischen Form des Lymphoms (Stage V) ist nicht immer eindeutig und erfordert eine integrative Diagnostik.

Therapie

Die Therapie der Wahl ist eine systemische Chemotherapie. Standardprotokolle orientieren sich an Protokollen für maligne Lymphome (z. B. CHOP-Protokoll: Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednisolon).

  • Initiale Induktionstherapie zur Remissionseinleitung
  • Konsolidierung zur Stabilisierung
  • Erhaltungstherapie über mehrere Monate

Glukokortikoide wie Prednisolon haben einen zytolytischen Effekt auf lymphatische Blasten. Eine begleitende supportive Therapie (z. B. Antibiotika bei Neutropenie, Transfusionen bei schwerer Anämie oder Thrombozytopenie, Gastroprotektion) ist essenziell. In Einzelfällen wird eine Knochenmarktransplantation experimentell angewandt, ist aber in der Veterinärmedizin bisher nicht etabliert. Eine rein palliative Therapie mit Prednisolon ist bei fortgeschrittenen Fällen möglich, aber nicht kurativ.

Prognose und Nachsorge

Die Prognose der ALL beim Hund ist insgesamt schlecht. Die mittlere Überlebenszeit unter intensiver Chemotherapie beträgt häufig nur wenige Monate (3–6 Monate). Nur wenige Hunde erreichen eine langfristige Remission. T-Zell-ALL und fortgeschrittene Fälle mit starker Knochenmarkinfiltration, ZNS-Beteiligung oder therapierefraktärer Neutropenie haben eine besonders ungünstige Prognose. Die Nachsorge umfasst regelmäßige Blutbildkontrollen (mind. 1×/Woche in der Induktionsphase), Überwachung der Organfunktionen und Kontrolle auf Komplikationen wie Infektionen oder sekundäre Neoplasien.

Zusammenfassung

Die akute lymphoblastische Leukämie ist eine seltene, aggressive Neoplasie lymphatischer Vorläuferzellen beim Hund. Sie manifestiert sich durch schwere hämatologische Symptome und systemische Krankheitszeichen. Die Diagnostik basiert auf hämatologischen und zytologischen Befunden sowie immunphänotypischer Differenzierung. Eine kurative Therapie ist bisher nicht etabliert, intensive Chemotherapie kann jedoch die Lebenszeit begrenzt verlängern. Die Prognose bleibt in den meisten Fällen ungünstig.

Ausblick auf aktuelle Forschung

Die Forschung fokussiert sich auf zielgerichtete Therapieansätze (z. B. Tyrosinkinaseinhibitoren, monoklonale Antikörper gegen CD-Oberflächenmarker) sowie auf immuntherapeutische Verfahren wie CAR-T-Zellen, die bereits in der Humanmedizin erfolgreich eingesetzt werden. Weitere Ziele sind die Erforschung molekularer Marker zur Frühdiagnose, Prognoseabschätzung und Therapieüberwachung. Auch die Genomsequenzierung individueller Leukämien zur Identifikation therapeutisch relevanter Mutationen ist Gegenstand intensiver Forschung.

Häufig gestellte Fragen (FAQs)

  1. Was ist der Unterschied zwischen ALL und Lymphom?
    Bei der ALL stammen die Tumorzellen aus dem Knochenmark, während Lymphome primär lymphatische Organe betreffen.
  2. Wie schnell verläuft die Erkrankung?
    Sehr schnell – unbehandelt führt die ALL innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen zum Tod.
  3. Wie lange kann mein Hund mit ALL leben?
    Mit intensiver Chemotherapie meist 3–6 Monate, selten länger.
  4. Ist die Erkrankung ansteckend?
    Nein, es handelt sich um eine nicht infektiöse, neoplastische Erkrankung.

Literatur

  1. Eberle, N. (2005). Primäre Hämostase bei Hunden mit malignem Lymphom und Leukämie: Einfluss der Induktionsbehandlung mit Zytostatika (Doctoral dissertation, Hannover, Tierärztliche Hochsch., Diss., 2005).
  2. Villarnovo, D.; Hohenhaus, A.E.; Kelsey, J.L.; Hirschberger, J.; Hartmann, K. „Acute lymphoblastic leukemia in dogs: A review.“ Journal of Veterinary Internal Medicine, vol. 31, no. 5, 2017, pp. 1239-1249.
  3. Burnett, R.C.; Vernau, W.; Modiano, J.F.; Olver, C.S.; Moore, P.F.; Avery, A.C. „Diagnosis and classification of canine leukemia: Clinical and laboratory considerations.“ Veterinary Clinical Pathology, vol. 35, no. 1, 2006, pp. 8-37.
    Zandvliet, M. (2016). Canine lymphoma: a review. Veterinary Quarterly, 36(2), 76-104.
  4. Cook, A. M., Bauer, N., Neiger, R., Peppler, C., & Moritz, A. (2016). Neutropenie beim Hund: Ätiologie und prognostische Faktoren. Tierärztliche Praxis Ausgabe K: Kleintiere/Heimtiere, 44(05), 307-315.
  5. Bodenberger, U. (1981). Autologe Stammzelltransplantation nach hochdosierter Ganzkörperbestrahlung bei Hunden: Einfluss der Zellzahl und des Fraktionierungsschemas.
  6. Vernau, W.; Moore, P. F. (1999): An immunophenotypic study of canine leukemias and preliminary assessment of clonality by polymerase chain reaction. Veterinary Immunology and Immunopathology, 69(2–4), 145–164.
  7. Meuten, D. J. (2017): Tumors in Domestic Animals. 5. Auflage. Wiley-Blackwell.
  8. Garrett, L. D. (2007): Canine acute leukemia: diagnosis, prognosis and treatment. Veterinary Clinics of North America: Small Animal Practice, 37(6), 1431–1449.

Inhalt

Download/Drucken