Akute Niereninsuffizienz (Akute Nierenfunktionsschwäche) bei Hunden

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Die akute Niereninsuffizienz (auch: akutes Nierenversagen, ANV) ist eine plötzlich einsetzende, meist reversible Störung der Nierenfunktion beim Hund, die sich durch eine rasche Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (GFR), der Harnkonzentrationsfähigkeit und des Flüssigkeits- sowie Elektrolytgleichgewichts äußert. Die Erkrankung führt innerhalb von Stunden bis Tagen zu einer Anreicherung harnpflichtiger Substanzen (Azotämie), Oligurie oder Anurie und kann unbehandelt zum tödlichen Multiorganversagen führen. Sie unterscheidet sich vom chronischen Nierenversagen (CNI) durch den plötzlichen Beginn und das potenzielle Regenerationsvermögen der Nieren.

Ursachen

  • Toxische Substanzen (z. B. Frostschutzmittel, bestimmte Medikamente, Giftstoffe)
  • Infektionen (z. B. Leptospirose)
  • Verstopfung der Harnwege
  • Dehydration
  • Schwere Blutverluste oder niedriger Blutdruck, die zu einer verminderten Nierendurchblutung führen

Die Ursachen der ANI lassen sich in drei Hauptgruppen einteilen:

  • Prärenal: Verminderte Nierendurchblutung durch Hypovolämie, Dehydratation, Schock, Herzinsuffizienz.
  • Renal (intrarenal): Direkte Schädigung des Nierenparenchyms durch Nephrotoxine (z. B. Ethylenglykol, Trauben/Rosinen, NSAIDs, Aminoglykoside), Infektionen (z. B. Leptospirose, Pyelonephritis), Ischämie, akute Glomerulonephritis.
  • Postrenal: Harnabflussstörungen durch Urolithiasis, Tumoren, Ruptur der Harnblase oder Urethra.
    Häufig besteht ein multifaktorielles Geschehen, bei dem prärenale Faktoren (z. B. Dehydratation) in eine intrinsische Nierenschädigung übergehen, wenn sie nicht rechtzeitig behoben werden.

Symptome

Die klinischen Anzeichen sind variabel und hängen vom Stadium der Erkrankung ab. Zu den typischen Symptomen zählen:

  • Apathie, Inappetenz, Erbrechen
  • Polydipsie und Polyurie im Frühstadium, gefolgt von Oligurie oder Anurie bei Progression
  • Dehydratation, trockene Schleimhäute, verlängerte Hautfaltentestzeit
  • Mundgeruch (Urämiegeruch), ulzeröse Stomatitis
  • Muskelzittern, Ataxie, Krampfanfälle bei schwerer Urämie
  • Azotämisch bedingte gastrointestinale Blutungen, Hämatemesis oder Meläna
    Fieber kann bei infektiöser Ursache (z. B. Leptospirose) vorliegen. Bei vollständigem Harnverhalt durch postrenale Obstruktion tritt häufig abdominale Schmerzsymptomatik auf.

Diagnose

Die Diagnostik stützt sich auf Anamnese, klinische Untersuchung, Labordiagnostik und Bildgebung:

  • Blutchemie: Deutlicher Anstieg von Harnstoff und Kreatinin (Azotämie), Hyperphosphatämie, Hyperkaliumämie, metabolische Azidose.
  • Harnanalyse: Isosthenurie, Proteinurie, zelluläre Bestandteile, Zylinder, ggf. Glukosurie ohne Hyperglykämie bei Tubulusschädigung.
  • Sonographie: Beurteilung von Nierengröße, -struktur, Harnabfluss. Hilfreich zum Nachweis obstruktiver Prozesse, Pyelonephritis oder struktureller Schäden.
  • Infektionsdiagnostik: Leptospiren-Nachweis (MAT, PCR), Urinkultur zur bakteriellen Abklärung.
  • Blutgasanalyse zur Beurteilung der Säure-Basen-Homöostase.
    Eine Unterscheidung zwischen akuter und chronischer Niereninsuffizienz ist wichtig und kann anhand von Anamnese, Körperzustand, Nierengröße und Verlauf erfolgen.

Therapie

Die Therapie richtet sich nach Ursache, Schweregrad und Stadium. Zentrale Maßnahmen sind:

  • Flüssigkeitstherapie: Ausgleich der Dehydratation, Korrektur von Elektrolytstörungen und Azidose, Förderung der Diurese.
  • Diuretika: z. B. Furosemid zur Anregung der Diurese bei Oligurie – jedoch nur bei ausreichender Hydrierung.
  • Behandlung der Grunderkrankung: z. B. Antibiotika bei Pyelonephritis oder Leptospirose, Entfernung von Obstruktionen.
  • Dialyse: Hämodialyse oder Peritonealdialyse in spezialisierten Zentren bei therapierefraktärer Urämie oder Anurie.
  • Symptomatische Therapie: Antiemetika (Maropitant), Phosphatbinder, gastrointestinale Schutzmittel, ggf. Transfusionen.
    Ernährung: leicht verdauliche, eiweiß- und phosphatreduzierte Diät mit hoher Energiedichte und ausreichend Flüssigkeit.

Prognose und Nachsorge

  • Die Prognose hängt stark von der Ursache und der Schnelligkeit der Behandlung ab.
  • Bei frühzeitiger und angemessener Behandlung können sich die Nierenfunktionen erholen.
  • In schweren Fällen oder bei verzögerter Behandlung kann die Erkrankung zu dauerhaften Nierenschäden oder zum Tod führen.

Die Prognose ist variabel und hängt stark von der zugrunde liegenden Ursache, der Schwere der Schädigung und dem Ansprechen auf die Therapie ab. Bei reversiblen Ursachen (z. B. Dehydratation, Leptospirose) kann sich die Nierenfunktion vollständig regenerieren. Persistierende Anurie und fortgeschrittene Tubulusschädigung sind prognostisch ungünstig. Die Überlebensrate liegt bei stationärer Behandlung bei 40–60 %. Nach einer überstandenen akuten Phase kann eine chronische Nierenerkrankung zurückbleiben. Die Nachsorge umfasst regelmäßige Blutuntersuchungen (Harnstoff, Kreatinin, Elektrolyte), Blutdruckmessung und Urinanalysen über Wochen bis Monate.

Zusammenfassung

Die akute Niereninsuffizienz ist eine ernstzunehmende Erkrankung beim Hund, die durch verschiedene prärenale, renale oder postrenale Ursachen ausgelöst wird. Sie erfordert eine rasche, intensive Behandlung zur Verhinderung irreversibler Nierenschäden. Die Diagnose erfolgt anhand klinischer, laborchemischer und bildgebender Parameter. Mit geeigneter Therapie kann sich die Nierenfunktion bei frühzeitiger Intervention vollständig erholen.

Ausblick auf aktuelle Forschung

Forschungsschwerpunkte liegen in der Entwicklung von Biomarkern zur frühzeitigen Diagnose (z. B. SDMA, NGAL), regenerativer Therapieansätze mit Stammzellen und der Verbesserung dialysebasierter Verfahren beim Hund. Ebenso wird der Einfluss der Mikrobiota auf die Nierenfunktion untersucht („Nieren-Darm-Achse“). Neue nephroprotektive Medikamente und antioxidative Substanzen wie S-Adenosylmethionin (SAMe) oder Omega-3-Fettsäuren werden zur Unterstützung der Regeneration geprüft.

Häufig gestellte Fragen (FAQs)

  1. Wie erkenne ich akutes Nierenversagen beim Hund?
    Erste Anzeichen sind Apathie, Appetitlosigkeit, vermehrtes oder vermindertes Urinieren und Erbrechen.
  2. Ist akutes Nierenversagen heilbar?
    Ja, je nach Ursache und Schweregrad kann die Nierenfunktion vollständig wiederhergestellt werden.
  3. Wie lange dauert die Behandlung?
    In der Regel mehrere Tage bis Wochen. Eine stationäre Intensivtherapie ist oft notwendig.
  4. Ist Dialyse beim Hund möglich?
    Ja, aber nur in spezialisierten Kliniken. Sie kann bei schwerer Anurie lebensrettend sein.

Literatur

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