Inhalt

Rodentizide, im alltäglichen Sprachgebrauch meist als „Rattengift“ bezeichnet, stellen eine häufige Vergiftungsquelle bei Haustieren dar. Ihre hohe Toxizität ist gezielt darauf ausgelegt, Nagetiere schnell oder verzögert zu töten. Leider wirken diese Substanzen nicht selektiv, sodass auch Hunde und Katzen bei oraler Aufnahme gefährdet sind. Besonders Hunde, mit ihrem ausgeprägten Fressverhalten und der Neigung, ungewöhnliche Dinge zu fressen, sind oft betroffen. Die Vielfalt der eingesetzten Wirkstoffe erfordert eine differenzierte Betrachtung: Neben Antikoagulanzien kommen zunehmend andere Giftgruppen wie Cholecalciferol (Vitamin D3), Bromethalin und Zinkphosphid zum Einsatz – mit jeweils sehr unterschiedlichen Wirkmechanismen und Therapieansätzen.

Ursachen, Entstehung und Verlauf

Es gibt verschiedene Stoffe, die zur Bekämpfung von Ratten und Mäusen eingesetzt werden.
Meist handelt es sich um Stoffe, die die Blutgerinnung durch Hemmung der Vitamin-K-Wirkung im Zusammenspiel mit verschiedenen Gerinnungsfaktoren in der Leber massiv schädigen.
Die Blockierung im Blutgerinnungssystems führt nach Verbrauch der noch vorhandenen Gerinnungsfaktoren zu multiplen Hämorrhagien (Blutungen im Körper). Die Folge ist ein Verbluten der Nager.
Die Wirkung kann je nach aufgenommener Menge infolge der noch vorhandenen Gerinnungsfaktoren verzögert nach 2–5 Tagen eintreten und über 2–4 Wochen anhalten.
Die Stoffe werden als langwirkende Antikoagulanzien bezeichnet (LWA).
Da bekanntermaßen ein spezieller Gerinnungsfaktor als erster verbraucht ist (Halbwertszeit 4–6 h), kann man seinen Abfall bei dem Verdacht einer Rattengiftintoxikation sehr gut zur Frühdiagnostik nutzen, auch wenn sonst noch keine Symptome vorhanden sind.

Vergiftungen mit Rodentiziden resultieren in der Regel aus:

  • Unkontrolliertem Zugang zu Giftködern, z. B. in Kellern, Gärten, Garagen oder Ställen
  • Fressen vergifteter Nagetiere (sekundäre Vergiftung)
  • Falscher oder unsachgemäßer Lagerung von Rattengift
  • Versehentlicher Verabreichung durch uninformierte Personen
  • Böswilliger Vergiftung durch Dritte (selten, aber tierschutzrechtlich relevant)

Welpen, junge Tiere und neugierige Hunde sind besonders gefährdet. Katzen sind seltener betroffen, da sie weniger an Ködern interessiert sind, aber über ihre Beutetiere (Ratten, Mäuse) indirekt gefährdet sein können.

Wirkungsmechanismus

Die zur Rattenbekämpfung eingesetzten Produkte hemmen die Vitamin-K-Synthese in der Leber und lassen dadurch dessen Spiegel im Organismus abfallen.
Einige Gerinnungsfaktoren benötigen zu ihrer Synthese Vitamin K. Bei einem Mangel an Vitamin K ergibt sich daher auch ein Mangel an diesen Gerinnungsfaktoren.
Die Geschwindigkeit des Wirkungseintrittes und die Wirkdauer der Gifte sind abhängig von der aufgenommenen Menge.
Die Wirkdauer kann sich über Wochen hinziehen.

Ergänzungen

Die toxikologischen Effekte variieren stark, je nach Wirkstoff:

3.1 Antikoagulanzien (1. und 2. Generation)

Substanzen: Warfarin, Brodifacoum, Difenacoum, Bromadiolon, Chlorophacinon etc.

Wirkmechanismus:

  • Hemmung der Vitamin-K1-Epoxid-Reduktase in der Leber
  • Beeinträchtigung der Aktivierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X
  • Effektive Gerinnung ist nicht mehr möglich → spontane Blutungen

Besonderheit:

  • Latenzzeit von 2 bis 5 Tagen, da gespeicherte Gerinnungsfaktoren zuerst verbraucht werden

3.2 Cholecalciferol (Vitamin D3)

Wirkmechanismus:

  • Erhöht Kalzium- und Phosphatabsorption im Darm
  • Mobilisiert Kalzium aus dem Knochen
  • Führt zu Hyperkalzämie, Hyperphosphatämie, Nierenversagen, Weichteilverkalkung

3.3 Bromethalin

Wirkmechanismus:

  • Hemmt die oxidative Phosphorylierung in Mitochondrien
  • Energieverlust (ATP↓) im ZNS
  • Intrazelluläres Ödem durch Natrium- und Wasserretention → zerebrales Ödem, neurologische Ausfälle

3.4 Zinkphosphid

Wirkmechanismus:

  • Im Magen unter Einfluss von Magensäure entsteht Phosphin-Gas
  • Zellgift mit stark zytotoxischer Wirkung auf Herz, Leber, Lunge, ZNS

Besonderheit:

  • Rascher Wirkungseintritt (innerhalb von 30–60 Minuten)

 

4. Symptome

Die Symptome sind abhängig vom Wirkstoff und der aufgenommenen Menge:

Antikoagulanzien

  • Lethargie, blasse Schleimhäute
  • Hämorrhagien (Nasenbluten, Hämatome, Hämatochezie, Hämaturie)
  • Dyspnoe (Blutungen im Thoraxbereich)
  • Hypovolämischer Schock

Cholecalciferol

  • Polyurie, Polydipsie
  • Inappetenz, Erbrechen, Apathie
  • Muskelzittern, Arrhythmien
  • Zeichen des akuten Nierenversagens

Bromethalin

  • Ataxie, Tremor
  • Hyperreflexie, Krampfanfälle
  • Blindheit, Lähmung, Koma

Zinkphosphid

  • Übelkeit, Speicheln, Erbrechen mit fauligem Geruch (Phosphin)
  • Dyspnoe, Kreislaufschock
  • Leberinsuffizienz, blutiger Durchfall
  • Plötzlicher Tod

Symptome einer Intoxikation

Bei den aktuell zur Rattenbekämpfung eingesetzten Stoffen tritt die Wirkung verzögert ein.
Treten die ersten Symptome ein, liegt die Giftaufnahme bereits 3 bis 7 Tage zurück.
Die Symptome sind zunächst unspezifisch, wie:

  • Apathie
  • Appetitlosigkeit
  • Speicheln
  • Erbrechen
  • Durchfall
  • unsicherer Gang

Später kommt es zu mehr oder weniger ausgeprägten

  • inneren und äußeren Blutungen
  • blassen Schleimhäuten mit Blutflecken (Petechien)
  • Anämie
  • Nasenbluten
  • Blut im Urin
  • Blutungen aus Wunden, lang anhaltend
  • blutiger Husten
  • Blutungen in Gelenken, verbunden mit Schwellungen
  • Umfangsvermehrung des Bauches infolge von Blutansammlungen
  • Lähmungen
  • Krampfanfälle

Die Blutungen können in allen Organen auftreten.
Auch ein plötzlicher Tod, ohne dass es vorher zu klinischen Zeichen gekommen ist, ist möglich.

Ergänzung

4. Symptome

Die Symptome sind abhängig vom Wirkstoff und der aufgenommenen Menge:

Antikoagulanzien

  • Lethargie, blasse Schleimhäute
  • Hämorrhagien (Nasenbluten, Hämatome, Hämatochezie, Hämaturie)
  • Dyspnoe (Blutungen im Thoraxbereich)
  • Hypovolämischer Schock

Cholecalciferol

  • Polyurie, Polydipsie
  • Inappetenz, Erbrechen, Apathie
  • Muskelzittern, Arrhythmien
  • Zeichen des akuten Nierenversagens

Bromethalin

  • Ataxie, Tremor
  • Hyperreflexie, Krampfanfälle
  • Blindheit, Lähmung, Koma

Zinkphosphid

  • Übelkeit, Speicheln, Erbrechen mit fauligem Geruch (Phosphin)
  • Dyspnoe, Kreislaufschock
  • Leberinsuffizienz, blutiger Durchfall
  • Plötzlicher Tod

 

Diagnose

Die Diagnostik umfasst:

  • Anamnese: Möglicher Zugang zu Rattengift? Fressen von Nagetieren?
  • Klinische Untersuchung: Hinweisende Symptome je nach Toxin
  • Laborchemie:
    • Antikoagulanzien: PT (Prothrombinzeit), aPTT
    • Cholecalciferol: Hyperkalzämie, Hyperphosphatämie, Kreatinin↑
    • Zinkphosphid: Leberwerte↑, metabolische Azidose
  • Spezialuntersuchungen:
    • Nachweis von Wirkstoffen im Blut, Leber, Urin (z. B. via HPLC)
    • CT/MRT bei neurologischer Symptomatik (v. a. Bromethalin)

Therapeutische Prinzipien

Da verschiedene Produkte mit unterschiedlichen Inhaltsstoffen zur Rattenbekämpfung eingesetzt werden, ist es für die Beurteilung einer Intoxikation sehr hilfreich, wenn die Produktbezeichnung und der Hersteller bekannt sind.
Wichtig ist auch, ob es sich um einen Fertigköder, einen angemischten Köder oder um ein Konzentrat handelt.
Produkte, die nicht antikoagulierende Wirkstoffe enthalten, entfalten ihre toxische Wirkung, indem sie das Nervensystem schädigen (z. B. Bromethalin) oder den Kalziumspiegel im Blut erhöhen, was zu Nieren-, Leber- oder Herzversagen führt (z. B. Cholecalciferol). Sie führen bei der Aufnahme durch Nager innerhalb weniger Stunden zum Tod und sind dadurch seltener eine Vergiftungsquelle für Wildtiere.
Für Hunde und Katzen bleiben sie gefährlich, mit dem zusätzlichen Nachteil, dass kein Antidot zur Verfügung steht.
Bei dem Verdacht der Aufnahme von Rattengift oder der frisch beobachteten Aufnahme ist eine Dekontamination mit Magen- und Darmentleerung sowie die Gabe von Aktivkohle Erfolg versprechend.
Bei bereits vorliegenden klinischen Symptomen einer Gerinnungsstörung oder bei entsprechenden Laborbefunden der Gerinnungsdiagnostik ist eine Dekontamination nicht mehr sinnvoll.
Die Therapie besteht in einer hoch dosierten Vitamin-K1-Gabe (Antidot) bis zum Abklingen der Symptome.
Meist ist nach anfänglicher Gabe von Gerinnungsfaktoren (Plasmatransfusion) und intravenöser Vitamin-K1-Substitution eine Weiterführung der Therapie mit oralen Vitamin-K1-Gaben möglich.
In schweren Fällen kann auch direkt die Gabe von Gerinnungsfaktoren (Plasmatransfusionen) notwendig sein.
Die Therapie muss lang anhaltend bis zum Abklingen der Symptome durchgeführt werden.
Größtenteils ist nach anfänglicher Gabe von Gerinnungsfaktoren (Plasmatransfusion) und intravenöser Vitamin-K1-Substitution eine Weiterführung der Therapie mit oralen Vitamin-K1-Gaben  notwendig.
Die Therapie muss teilweise über Wochen aufrechterhalten werden. 48 h nach Absetzen der Vitamingabe wird ein Gerinnungstest durchgeführt. Sind die Werte noch pathologisch, wird die Vitamingabe erneut aufgenommen.
Ferner erfolgt die Therapie symptomatisch. Die Vitalfunktionen sind zu sichern. Bei starkem Blutverlust sind Bluttransfusionen notwendig, die gleichzeitig auch Gerinnungsfaktoren liefern. Überwiegend ist eine antibiotische Abschirmung angezeigt.

Ergänzungen

Erste Maßnahmen

  • Erbrechen auslösen, wenn keine neurologischen Ausfälle vorhanden sind (innerhalb 1–2 h nach Aufnahme)
  • Gabe von Aktivkohle, mehrfach bei enterohepatischer Rezirkulation
  • Stabilisierung des Kreislaufs, Flüssigkeitstherapie

Spezifische Therapien

Antikoagulanzien:

  • Vitamin K1 (Phytomenadion) oral oder subkutan, mindestens 3 Wochen
  • Frischplasma- oder Vollbluttransfusion bei aktiver Blutung
  • Monitoring: PT/aPTT alle 48 Stunden

Cholecalciferol:

  • Infusionstherapie mit 0,9 % NaCl
  • Furosemid, Prednisolon, ggf. Calcitonin zur Senkung des Kalziums
  • Magenschutz, Kontrolle von Nierenparametern

Bromethalin:

  • Keine spezifische Antidot-Therapie
  • Intensivmedizin: Antikonvulsiva (Diazepam, Phenobarbital), Mannitol
  • Intrakranielle Druckkontrolle

Zinkphosphid:

  • Magenspülung unter Absaugung
  • Metoclopramid, Antiemetika
  • Sauerstoffgabe, Leber- und Kreislaufunterstützung

Prognose

Die Prognose ist bei rechtzeitiger und konsequenter Therapie gut.

Die Prognose hängt vom Wirkstoff, der Dosis, der Zeit bis zur Therapie und dem Allgemeinzustand ab:

Wirkstoff Prognose
Antikoagulanzien Gut bei früher Vitamin-K1-Therapie
Cholecalciferol Vorsichtig bis schlecht
Bromethalin Ungünstig, oft tödlich
Zinkphosphid Sehr schlecht bei später Diagnose

Nachsorge:

  • Überwachung von Blutbild, Gerinnung, Elektrolyten
  • Langzeitunterstützung von Leber und Niere
  • Besitzeraufklärung zur Vermeidung weiterer Exposition

Zusammenfassung

Vergiftungen durch Rodentizide bei Hunden und Katzen stellen einen häufigen und ernsthaften Notfall in der Kleintierpraxis dar. Antikoagulanzien, Cholecalciferol, Bromethalin und Zinkphosphid unterscheiden sich stark im Wirkungsmechanismus, was eine fundierte Diagnostik und gezielte Therapie erfordert. Eine frühzeitige tierärztliche Intervention verbessert die Überlebenschancen deutlich. Prävention durch sachgerechte Anwendung und sichere Lagerung ist unerlässlich.

Ausblick auf Forschung

Die toxikologische Forschung beschäftigt sich u. a. mit:

  • Entwicklung spezifischer Antidote für Bromethalin und Zinkphosphid
  • Molekulare Marker zur frühzeitigen Erkennung subklinischer Vergiftungen
  • Nicht-toxische Rodentizide zur Vermeidung von Sekundärvergiftungen
  • Schnelltests für Tierarztpraxen zur Unterscheidung der Toxine
  • Bewertung der Ökotoxikologie bei Wildtieren durch Rodentizid-Rückstände

Häufig gestellte Fragen (FAQs)

  1. Wie schnell treten Symptome nach Aufnahme auf?
    Je nach Wirkstoff zwischen Minuten (Zinkphosphid) und mehreren Tagen (Antikoagulanzien).
  2. Wie kann ich erkennen, ob mein Tier Rattengift gefressen hat?
    Auffällige Symptome wie Blutungen, Schwäche, Erbrechen, Krämpfe sind Warnzeichen.
  3. Was ist zu tun, wenn der Verdacht besteht?
    Sofort tierärztliche Notfallversorgung aufsuchen, Verpackung (falls bekannt) mitbringen.
  4. Kann Aktivkohle helfen?
    Ja, frühzeitig gegeben, kann sie die Giftaufnahme reduzieren.
  5. Wie lange dauert die Behandlung mit Vitamin K1?
    In der Regel 3 bis 4 Wochen, abhängig vom Wirkstoff.
  6. Gibt es Hausmittel gegen Rattengift?
    Nein – Eigenbehandlungen können lebensgefährlich sein.
  7. Sind Katzen auch gefährdet?
    Ja, v. a. durch das Fressen vergifteter Nagetiere.
  8. Wie kann ich mein Tier schützen?
    Keine frei zugänglichen Köder, Kontrolle über Jagdverhalten, gesicherte Lagerung.
  9. Sind alle Rattengifte gleich gefährlich?
    Nein, es gibt große Unterschiede in Toxizität, Wirkung und Behandlungsoptionen.
  10. Kann eine einmalige Aufnahme tödlich sein?
    Ja, bei bestimmten Giften kann bereits eine kleine Menge tödlich wirken.

Literatur

  • https://gizbonn.de/giftzentrale-bonn/archiv/gerinnungshemmendes-rattengift
  • Gwaltney-Brant, S. M. (2012): Rodenticides. In: Peterson, M.E., Talcott, P.A. (eds.): Small Animal Toxicology, 3rd ed. Elsevier, pp. 612–635.
  • Khan, S.A., McLean, M.K. (2012): Toxicology of newer anticoagulant rodenticides in animals. J Vet Emerg Crit Care, 22(1), 2–9.
  • Murphy, L.A., Talcott, P.A. (2019): Vitamin D3 rodenticide toxicosis in dogs and cats. Vet Clin North Am Small Anim Pract, 49(6), 1123–1136.
  • Cortinovis, C., Caloni, F. (2015): Toxicological risk assessment of rodenticides to non-target pets. Toxins, 7(10), 3952–3972.
  • Vandenbroucke, V. et al. (2008): Distribution of anticoagulant rodenticide residues in raptors in Belgium. Environ Int, 34(6), 861–866.
  • Löwe G, Löwe O. Vergiftungen bei Hund und Katze – Ein tierärztlicher Ratgeber. 2. Auflage. Kreuztal: Kynos-Verlag. 2021; 208 S.
Inhalt

Prophylaxe

Die Methoden der Bekämpfung von Ratten und Mäusen führen zu einem schmerzhaften, langsamen und qualvollen Tod der Nager. Die Methoden sind unmenschlich.
Die Prophylaxe haben wir weitgehend selbst in der Hand.

  • Rattengift nur in Köderstationen, ohne Zugang für Kinder und Haustiere
  • hygienische Maßnahmen zur Nagerbekämpfung
  • sichere Müllentsorgung
  • natürliche Feinde der Ratten und Mäuse fördern
  • Lebendfallen
  • Schnappfallen, die die Tiere sofort töten

Neben der Gefährdung unserer Kinder und Haustiere führen die üblichen Methoden der Nagerbekämpfung zu einer Gefährdung von Wildtieren wie Vogel, Iltisse, Wildkatzen und Füchse.
Laut einer Studie in Australien sind vergiftete Mäuse und Ratten zu 50 % die Ursache von Todesfällen bei Eulen.